Jugendbewegung feiert 100 Jahre Hoher Meissner
Das Jahr 1913. Das Kaiserreich rüstet auf und feiert den 100sten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht. Neben diesen konservativen Kräften bildet sich aber auch die Jugendbewegung. Schüler und Studenten drängt es aus „grauer Städte Mauern“ hinaus zu Wanderungen, Musik und Tanz. Vor 100 Jahren trafen sich auf dem Hohen Meissner im Werra-Kreis bei Kassel Wandervögel zusammen mit Reformjugend und anderen Gruppen und gaben sich den Namen Freideutsche Jugend um sich von dem militärischen der Schützenvereine und dem chauvinistischen Gepräge der Burschenschaften abzugrenzen. Sie forderten ein freies Leben in eigener Regie. Sie verabschiedeten die Meissner-Formel: „Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.“
In der ersten Oktoberwoche kamen nun auf dem Hohen Meissner 3500 Teilnehmer aus der bündischen Jugend zusammen um das 100. Jubiläum zu feiern.
Mit dabei ein Trupp von 15 Mitgliedern der AG-Nord und 20 Pfadfindern vom VCP Dortmund.
Bündische Jugend ist ein Ausdruck für Gruppen, die sich als Lebensbund verstehen und Wert auf traditionelle Arbeit legen. Auf dem ganzen Lager war so kein einziges Nylonzelt zu sehen, sondern alle schliefen in Kohten und Jurten, den klassischen Schwarzzelten. Ganz ungewohnt auch einmal so viele Menschen zu sehen, welche ohne Technik miteinander kommunizierten. Lediglich beim Festakt und seinen Ansprachen waren Mikrophone im Einsatz und das war gut. Denn wenn ein 20-jähriger seine Motivation erklärt, warum er schon mit 14 Jahren Gruppenleiter wurde und mittlerweile den gesamten Verband leitet, dann ist das hörenswert. Genauso interessant aber, wenn mit Hans-Peter von Kirchbach ein 72-jähriger sein durch die Jugendbewegung geprägtes Leben erzählt und von den Zuhörern gesellschaftliches Engagement fordert (HP war übrigens von ´88 bis 2001 Bundesvorsitzender des VCP).
In den fünf Jahren Vorbereitungszeit bildeten sich für die Gruppen aus ganz Deutschland fünf Foren für die einzelnen Regionen Deutschlands. Die Sippe Draconis aus Paul-Gerhardt war seit zwei Jahren im Westforum mit Gruppen des Zugvogels, der Waldjugend und anderen Pfadfinderbünden mit der Vorbereitung beschäftigt. Der Einkauf von regionalen Lebensmitteln der Saison und das gleichzeitige Kochen von 600 Portionen musste geplant werden. Dazu das Programmangebot wie tagsüber Jonglage, Feuerspucken, Themenarbeit zu Politik, Sexualität und Umwelt, Theater, aber auch Ausstellungen, Kurse in Schmieden, Kochen, Feuer machen mit Eisen und Feuerstein und das fachgerechte Zerlegen von Wildbret. Bei so vielen Teilnehmern und Gruppen sind Interessen und Fähigkeiten breit gestreut. Abends kamen alle zu großen Singerunden zusammen und neben unzähligen Gitarren kamen auch Kontrabässe, Cister und Akkordeon zum Einsatz. Egal aus welchem Bund kommend wurde mit Begeisterung gemeinsam gefeiert und von russischen Balladen zu Seemannsliedern und zu Eigenkompositionen gewechselt. Der Inhalt der Meissner-Formel gilt für diese Gruppen noch immer. Lediglich der Zusatz „die Veranstaltungen der freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei“, der 1913 noch dabei war, ist mittlerweile für die meisten entfallen.
Bis Freitag war das Wetter sehr kalt aber sonnig und so fanden sich den ganzen Tag über Gruppen zu bretonischen Tänzen ein. Von Freitagabend bis Sonntagmorgen regnete es dann durchgehend, so dass die Wiese schnell verschlammte. Bei diesem Regen bildeten sich in den riesigen Zeltkonstruktionen teilweise große Pfützen, aus welchen dann wie aus einer Badewanne ein Sturzbach ins Zeltinnere schwappte. Die Pfadfinder nahmen es gelassen: „Regen ist wärmer als klarer Himmel.“ - ROM